Dr. Susanne Wischermann

Architektur pur

Seit zwei Jahren bewegt sich Crischa Siegel auf einem neuen Pfad in ihrem Kunstschaffen: Zu den Stilleben, Stuhlbildern, Materialarbeiten und abstrakten Werken mit Farbfeldern sind Bilder von Häusern gekommen, um es genauer zu sagen: von Hausecken, von Fassadenabschnitten, von Dächern, von Häuserkanten, die aufeinander treffen, von Treppen, die aussen an Häusern angebracht sind.

Crischa Siegel bewegt sich – und das doppelter Hinsicht. Nicht nur dass sie vornehmlich südliche Architektur für sich als Motiv entdeckt hat, das Sich-Bewegen ist auch Teil des Entstehungsprozesses ihrer neuen Bilder: 2005 auf Teneriffa fing es an. Bei ihren vielen Streifzügen durch diverse Ortschaften war der Kölnerin das Unprätentiöse und zugleich Faszinierende der dortigen Architektur aufgefallen. Ein weiterer, bewusster Gang wurde von der Kamera begleitet. Wobei Crischa Siegel nie ganze Serien knipst, sondern von dem, was ihr an einem Haus oder einer Häuserzeile wichtig ist, nur ein einziges Photo macht, mit genau dem richtigen Blickwinkel, mit dem perfekten Ausschnitt,  – das ist dann die Gedächtnisstütze für das spätere Gemälde. Die Kamera kommt also zum Einsatz wie weiland der Stift und das Blatt....

Später im Atelier ist das Photo Vorlage und Ausgangspunkt zugleich, denn die Künstlerin malt nicht eins zu eins das, was sie mit der Kamera festgehalten hat. Sie interpretiert, sie reduziert, sie eliminiert alle schwatzhaften Details, die von den klaren Formen der Mauern, ihren Ecken, ihren Kanten, ablenken könnten. Natürlich gibt es auch auf der Insel vor der Küste Afrikas Blitzableiter, Antennen und Satellitenschüsseln. Doch nichts von dem begegnet uns auf ihren Bildern wieder. Was nach dem Filterungsprozess durch die Malerin übrig bleibt, sind die ruhigen, abgezirkelten Geometrien von Vier- und Dreiecken. Und sie ändert manchmal die Farben. Da wird die grüne Wandfarbe durch ein weiss durchmischtes Terrakotta ersetzt, weil “das Grün einfach zu scheusslich war“. Oder die Lokalfarbe wird deshalb vernachlässigt, weil sie in die Gesamtkomposition nicht hineinpasst.

Fast könnte man meinen, dass die neuen Architekturbilder von Crischa Siegel eine Weiterentwicklung ihrer abstrakten Farbfelder-Arbeiten sind. Aber schon der Blick auf die Oberflächen macht einen wichtigen Unterschied deutlich: Den abstrakten Arbeiten sieht man an, dass ihr Entstehungsprozess Teil ihres Inhalts sind. Da sind Spuren von verschiedenen Farbaufträgen übereinander, das u. U. wieder Fortnehmen und Abkratzen inklusive. Jene Arbeiten haben den Hauch des Experimentellen: Was passiert, wenn... Es geht um Textur, um Überlagerung, um Kräftespiele der Farben und dem Material Farbe. Diese Bilder stehen in der Tradition des Informel mit ihrem wichtigsten deutschen Vertreter Emil Schuhmacher. Die physische Präsenz der Farbe, ihre Materialität soll vermittelt werden.

Bei der neuen Serie „Südliche Architekturen“ ist die Sachlage eine völlig andere. Es geht hier nicht ums Experiment, sondern es wird ein bestimmtes Ziel umgesetzt: Die Quintessenz dessen, was Architektur ist: Form. Paul Cézanne, ein weiteres großes Vorbild von Crischa Siegel, hat Anfang des 20. Jahrhunderts betont, dass die Aufgabe des Künstlers sich verändert habe. Er solle nicht mehr der Kopist der Wirklichkeit sein, sondern auf seinen Bildern eine neue Wirklichkeit schaffen. Ein Apfel, eine Flasche, eine Tischplatte seien im Prinzip eine Kugel, ein Zylinder, ein Viereck. Auch Cézanne hat Landschaftsbilder gemalt, auf denen er die Häuser auf Formen wie Quadrate und Rechtecke für die Fassaden, Fenster und Dachflächen reduzierte.

Crischa Siegel greift diese Idee auf und trägt sie noch pointierter vor. Sie betont die geometrischen Flächen in einer Weise, dass manchmal eine Art Vexierbild entsteht: Der dreieckige Schatten kann genauso gut auch einfach eine schwarze Fläche neben den weissen oder den andersfarbigen Flächen sein. Der Mauervorsprung vielleicht auch ein zurückweichendes Element. Eine Architektur der Formen – aber es handelt sich eben doch um Häuser. Der Kunstgriff, uns aus der Abstraktion wieder in die (figurative) Wirklichkeit zu holen, besteht darin, dass Crischa Siegel auf ein paar Details nicht verzichtet: Da ist die Stromleitung, die im oberen Teil des Bildes von Haus zu Haus in der Luft hängt, da ist das Gestänge der Wäscheleine auf der Dachterrasse, da wird uns ein Ausschnitt eines Fensters, einer Tür geboten, oder wir sehen eindeutig die Stufen einer Treppe, die rostigen Spuren von Nägeln in einer weissen Wand. Und da ist dieser sagenhafte blaue Himmel, der uns auf manchen Bildern begegnet. Also Häuser in einem unglaublichem Licht. Reine Form. Reine Architektur. Architektur pur.
 

Dr. Susanne Wischermann
Kunsthistorikerin, Bergisch-Gladbach
September 2007

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Seite zuletzt aktualisiert am 17.11.07