Jörg Michael Henneberg

Aus dem Grußwort von zur Vernissage im Haus Müller, Ganderkesee, am 30. Januar 2009:

Es ist ein besonderes Ereignis, wenn eine Künstlerin wie Crischa Siegel hier im Haus Müller in Ganderkesee ausstellt. Crischa Siegel lebt und arbeitet in Köln, hat aber seit langem enge Kontakte in unsere Region. Sie ist eine gegenständlich arbeitende Künstlerin und steht doch in der Tradition der Klassischen Moderne. Seit geraumer Zeit nimmt das Figurative wieder breiten Raum in der zeitgenössischen Kunst ein. Und das ist auch gut so, denn nicht selten ist das Informell in eine Sackgasse voller Beliebigkeit gelandet und nähert sich in seiner Belanglosigkeit häufig dem Muster an.

Crischa Siegel ist eine hervorragende Vereinfacherin der Form. Wenn sie ihre Stillleben beachten, dann berührt ihre Malerei die sensible Schnittstelle zwischen Figuration und Abstraktion.

Als ich im Jahr 2001 anlässlich der Vernissage in der Galerie Lindern Crischa Siegels Malerei versuchte in Worte zu fassen, sagte ich: „Crischa Siegel abstrahiert, d. h. sie lässt weg, reduziert und konzentriert sich auf das Wesentliche. Bestimmend sind komplementäre Farbkontraste und das Widerspiel zwischen Hell und Dunkel. Aus der Farbsetzung ergibt sich erst die figurative Richtung, die nirgendwo Abbild ist, sondern selbst in der Darstellung eines Horizontes von Landschaftsstrukturen oder zart hin gehauchten Gefäßen als abstrakt zu begreifen ist. Crischa Siegel instrumentiert ihre Farben mit großer Sensibilität. Durch Zugabe von Sand erhalten die Gemälde plastische Qualitäten. Ritzungen, Netze, Strukturen. Tropfen, Verästelungen und Fasern verdichten sich zu Kompositionen“.

Ich finde, dass auch diese Charakterisierung noch heute ihre Gültigkeit hat und dass sich an dem vor nunmehr acht Jahren Gesagten nichts geändert hat.

Crischa Siegel ist eine sehr vielseitige Künstlerin, und die Herkunft der pastosen Malerei aus der Keramik führt bei ihr zu einem besonderen Verhältnis zur Fläche und zum Farbaufbau. Malerei ist immer der Umgang mit Farbe auf dem Bildträger, aber Malerei ist grundsätzlich auch eine dreidimensionale und damit plastische Angelegenheit. Die Vielfalt der Ausdrucksformen, die wir bei Crischa Siegel finden, ist Ausdruck einer großen Liebe für die verschiedensten Mittel und mitunter ein kreativer Spaziergang in der Welt der Klassischen Moderne.

Im Kulturhaus Müller sind Stillleben, Architekturbilder und Landschaften zu sehen. Die mediterrane Architektur wird von ihr stark vereinfacht, das Kubische der Zweckbauten wird herausgearbeitet und durch einen besonderen Blickwinkel noch verstärkt. Diese Arbeiten sind flächig angelegt und von beeindruckender Leuchtkraft. Die Begegnung der blendend weißen Farbe der Häuser mit der bestrickenden Bläue des Meeres ist von großer Intensität. Urlaubsträume werden wahr, aber es liegt auch etwas Monumentales, Überzeitliches in diesen Arbeiten. Mit diesen Werken steht Crischa Siegel in der Nachfolge von Alexander Kanoldt, der als Erster bereits vor dem Ersten Weltkrieg den gebauten Kubismus der mediterranen Zweckarchitektur erkannte und in kristalline Strukturen umsetzte.

Crischa Siegel geht hier noch einen Schritt weiter. In der Begegnung der Flächen wird die Farbfeldmalerei der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts spürbar. Diese Vereinbarkeit von Abstraktion und Form, gegenständlicher Form, bestimmt ihr Schaffen. Besonders deutlich wird dies bei den Klee-Blatt betitelten Stillleben. Hier ist der Grad der Abstraktion ein sehr weit reichender, und die Grenze zum Informell wird berührt, mitunter überschritten.

Crischa Siegel vereinfacht die Formen und gibt ihnen zeichenhafte Qualitäten. Ihre Malerei lenkt den Blick des Betrachters auf das Wesentliche. Die Feststellung von Paul Klee, dass die Kunst Unsichtbares sichtbar mache, findet hier ihre Bestätigung. In ihren Landschaften und besonders in den Architekturbildern findet sich eine zeichenhafte Allgemeingültigkeit. Crischa Siegel ist auch eine Malerin der Harmonie. Ihre Farbakkorde sind nie laut, auch dort, wo die Farbigkeit betörend leuchtend und bestrickend schön ist. Immer spürt man ein großes Gespür für das Miteinander von Form und Farbe. Das Formempfinden der Keramikerin wird in ihrer Malerei spürbar.
Seitdem ich ihre Arbeiten 2001 in der Galerie kennen lernte, ist sie ihren besonderen Weg kontinuierlich weitergegangen und genau das ist doch entscheidend für eine künstlerische Stilbildung, die überzeugt. Bei Crischa Siegel findet sich trotz aller Vielfalt keinerlei Beliebigkeit. Sie ist eine Vollblutmalerin und sie bringt viel von ihrem eigenen Erleben in ihre Bilder ein. Die mediterranen Landschaften sind Chiffren für die Sehnsucht des Nordländers nach dem Süden. So zumindest kann der Betrachter diese Bilder verstehen. Die einfache, in ihrer Malerei formal noch einmal geläuterte Architektur wird zum Sinnbild einfachster und ehrlichster Schönheit. In der sensiblen und immer gegenwärtigen Malerei von Crischa Siegel verbinden sich zwei bedeutende Stränge der kunsthistorischen Entwicklung. Der Weg zur Abstraktion, den die Künstler fast 150 Jahre gegangen sind, und der daraus resultierende Weg zum Informell. Dieser Weg wird bei Crischa Siegel zu einer geläuterten figurativen Erfahrung. Die Sinnlichkeit ihrer Bilder, die haptische Materialität durch Zugabe von Sand, sind einzigartig und zeugen davon, dass die Schönheit von Form und Farbe ihren Platz in der zeitgenössischen Kunst wieder gefunden hat.

Auf jeden Fall macht diese Ausstellung dem Betrachter viel Freude und in ihrer sinnlichen Schönheit weist sie bereits auf den Frühling und die Farbenvielfalt dieser Jahreszeit hin.
 

Jörg Michael Henneberg, Oldenburg
Kunstkritiker und Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Oldenburgischen Landschaft

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Seite zuletzt aktualisiert am 17.6.09